Künstliche Gelenke: Vorsicht bei Infekten und Wunden
29.9.2019
(dgk) Etwa 440.000 neue Hüft- oder Kniegelenke werden in Deutschland jährlich eingesetzt. Es sind sichere und erfolgreiche Maßnahmen zur Wiederherstellung von Schmerzfreiheit, Beweglichkeit und sozialer Teilhabe.
Zugleich aber gehört die Infektion eines künstlichen Hüft- oder Kniegelenks zu den gefürchtetsten Komplikationen. Etwa 0,5 bis zwei Prozent aller Patienten neuen Gelenken erleiden eine solche sogenannte periprothetische Infektion.
Infektionen noch Jahre nach Implantation möglich
Die AE (Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V.) empfiehlt Trägern von Gelenkprothesen, jede Infektion und Entzündung ernst zu nehmen und sich im Zweifel ärztlich beraten zu lassen. Erreger aus einem Infektherd können sich über die Blutbahn auf das Implantat ausbreiten und dort vermehren.
„Die Besiedelung mit schädlichen Bakterien kann sowohl in der frühen Phase nach der Operation als auch Monate bis Jahre danach auftreten“, sagt Professor Dr. med. Rudolf Ascherl, Präsident der AE und Direktor der Klinik für spezielle Chirurgie und Endoprothetik am Krankenhaus in Tirschenreuth. Dabei rufen die Erreger zunächst eine Entzündung in der Umgebung des Implantats hervor. Später löst sich der prothesentragende Knochen auf. Schmerzen und eine Lockerung des künstlichen Gelenks sind die Folge.
Vorbeugend auch kleine Wunden desinfizieren und beobachten
Die Fachgesellschaft rät deshalb, auch kleine Wunden, wie vom Nägelschneiden, von der Gartenarbeit oder dem Spiel mit dem Haustier, immer sofort fachgerecht zu desinfizieren und im Auge zu behalten. Rötung oder Schwellung des Gelenks und vor allem anhaltende Belastungsschmerzen, sollten umgehend vom Arzt abgeklärt werden.
Riskofaktor Infektionskrankheiten
In seltenen Fällen werden Bakterien bereits während der Operation eingebracht, daneben kommen Erreger durch Zirkulation im Blut zur Prothese. „Auslöser dieser über den Blutweg gestreuten Infektionen können größere Entzündungen, etwa von Blase oder Lunge sein“, sagt Professor Dr. Karl-Dieter Heller, AE-Vizepräsident aus Braunschweig und Chefarzt der Orthopädischen Klinik am Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig. Weitere mögliche Ursachen sind Bakterienquellen wie offene Beine (Durchblutungsstörungen), eine blutig verlaufende Zahnbehandlung, eine Darmspiegelung, bei der Polypen abgetragen werden, oder eine eher unscheinbare Verletzung beim Heimwerken, so Ascherl, der auf die Behandlung solcher Infektionen spezialisiert ist. „Trägt der Patient weitere Fremdkörper, etwa künstliche Herzklappen, die sich infiziert haben, können auch diese Keime auf die Gelenkprothese verschleppt werden.“
Implantate bieten Angriffsfläche für Bakterien
Normalerweise schützt das Immunsystem den Körper vor einer Ausbreitung von Infekten und bekämpft Keime, die über den Blutweg streuen. Ein Implantat ist jedoch ein unbelebter Fremdkörper. Er kann sich nicht selbst vor der Besiedelung mit Bakterien schützen. „Deshalb bleiben Bakterien dort bevorzugt haften. Da sie sich auf der künstlichen Oberfläche ungestört vermehren können, sind sogar schon verhältnismäßig wenige Keime in der Lage, eine ernsthafte Infektion auszulösen“, erläutert Ascherl die Problematik.
Schnelle Behandlung wichtig
Auf der Oberfläche der Prothesen beginnen sie bereits innerhalb von wenigen Tagen, einen Schleimfilm zu bilden. „Bakterien, die sich innerhalb dieses sogenannten Biofilms befinden, sind vor dem Angriff durch Antibiotika und des Immunsystems geschützt“, so der Orthopäde und Unfallchirurg weiter. Eine realistische Chance, die Infektion durch Antibiotika in den Griff zu bekommen, besteht deshalb nur in den ersten drei Wochen nach Beginn der Symptome.“ Umso wichtiger sei es, schnell eine Behandlung einzuleiten.
Vorsicht und Aufmerksamkeit ein Leben lang notwendig
„Patienten mit einem künstlichen Gelenk sollten deshalb ihr Leben lang ihren Körper von Kopf bis Fuß besonders aufmerksam pflegen“, so Ascherl. „Schmerzen am operierten Gelenk sind immer ein Alarmzeichen und müssen umgehend vom Arzt abgeklärt werden.“ Die anspruchsvolle Behandlung eines Protheseninfektes setze sehr viel Erfahrung voraus. Zudem sei eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen, etwa Mikrobiologen, Infektiologen, Internisten, Orthopäden und Fachpflegekräften wesentlich. Doch die adäquate Versorgung sei unterfinanziert, betont Ascherl: „Die wenigen Zentren, die sich hierzulande dieser Patienten noch annehmen, weisen jährliche Finanzierungslücken in Millionenhöhe auf.“ Hier müsse von der Politik dringend nachgebessert werden.
Quelle:
AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik: Künstliches Knie- und Hüftgelenk: Lebenslange Wachsamkeit bei Infekten und kleinen Verletzungen; Pressemitteilung von Juli 2019